Die EU Kommission hat ihren Fahrplan zur Sicherung der Energieversorgung, Treibhausgasminderung und Entwicklung des Energiesektors vorgestellt.
Hier Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen.

Wie schätzen Sie die Energy Roadmap 2050 ein?
Grundsätzlich halte ich die Ziele für richtig und für machbar, insbesondere die komplette Dekarbonisierung der Stromerzeugung und Energieversorgung. Dabei ist es wichtig, gezielt auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu setzen, den Stromhandel und somit Wettbewerb durch den Ausbau der Netze voranzubringen sowie die Verbesserung der Energieeffizienz deutlicher als bisher in den Blick zu nehmen. Die Zielsetzung ist richtig, die Szenarien bilden verschiedene Pfade ab. Es geht darum, dass man heute die richtigen Schritte einleitet, um die Wende zu schaffen.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat fünf Modellrechnungen vorgestellt, wie bis 2050 ambitionierte CO2-Reduktionen erreicht werden können. Welches Modell halten Sie für das beste?
Ich halte das Szenario der fast aggressiven Umsetzung von Energieeffizienz für das geeignetste. Das vermindert die volkswirtschaftlichen Kosten erheblich. Die Strompreise steigen kaum, je mehr Energieeffizienz man umsetzt. Es stecken sicherlich Tücken im Detail. Gerade wenn man es herrunterdekliniert auf Produktions- und Industrieprozesse, auf Gebäudesanierung und Mobilität. Leider wird Energieeffizienz heute allgemein noch unterschätzt.

Kommissar Oettinger lehnt es ab, eins der Modelle zu empfehlen. Wäre ein klares Signal aus Brüssel, etwa pro Modell mit Schwerpunkt auf Erneuerbare oder deutlich mehr Energieeffizienz, nicht sinnvoller gewesen?
Die Ziele für Gesamteuropa bis zum Jahr 2050 sind ja vorgegeben. Die Frage ist jedoch, wie die in den jeweiligen Mitgliedsländern umgesetzt werden können und müssen. Der Energiebereich in Europa ist sehr heterogen und die Voraussetzungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich. Die EU sollte gemeinsam mit den Ländern erarbeiten, wie die Ziele umgesetzt werden können.

Der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese wirft der Bundesregierung vor, Maßnahmen zur Energieeffizenz zu vernachlässigen – obwohl gerade in diesem Bereich viel für das Klima getan werden könne.
Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa sind die Energieeffizienzpotentiale riesig, ein schlafender Riese, dem man leider zu wenig Beachtung schenkt. Europa wäre gut beraten, in diesem Bereich auch wirklich verbindliche Ziele vorzugeben, mit denen man die Länder zur Umsetzung verpflichtet. Die Verbesserung von Energieeffizienz sollte oberste Priorität haben.

Was sehen Sie an der Energy Roadmap 2050 kritisch?
Schwierig ist zum Beispiel das Thema CCS (Carbon Capture and Storage, die Abscheidung und unterirdische Lagerung von Kohlendioxid). CCS ist ein wichtiger Baustein in den Roadmap-Szenarien zur Erreichung der Klimaziele. Die Frage ist aber, ob diese Technik wirklich in dem Umfang zum Einsatz kommen wird. Eine Ausgangsvoraussetzung sind effektive Gesetzesvorgaben, die nicht in jedem Land vorliegen. Oftmals fehlt zudem die gesellschaftliche Akzeptanz. Deutschland ist hier das beste Beispiel. Vattenfall hat deswegen sein CCS-Projekt in Brandenburg erst einmal gestoppt. Ob es in anderen europäischen Ländern anders aussehen wird, wird man sehen.

Abgesehen von gesellschaftlicher Akzeptanz, wie bewerten Sie CCS unter ökonomischen Gesichtspunkten?
CCS führt zu erheblichen Effizenzverlusten, zudem rechnet es sich erst bei einem CO2 Preis von über 50 Euro pro Tonne CO2. Diesen Preis wird man vermutlich kaum in den kommenden zwei Jahrzehnten erreichen. Ökonomisch gesehen gibt es somit bessere Alternativen als CCS.

Könnten technische Innovationen die CCS-Technologie in den kommenden Jahrzehnten nicht noch effizienter machen?
Dies ist durchaus möglich. Wenn man jedoch heute gezielt auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz setzt, kann man komplett auf Kohle und CCS verzichten. Forschung und Innovation könnten dazu führen, dass diese Technik kostengünstiger wird. Oder aber CO2 als Produkt zur Weiterverwendung nutzt – das wäre eine echt sinnvolle Innovation.

CCS wird als Brückentechnologie beworben. Wenn Sie sich nun gegen CCS aussprechen, welche Technologie ist stattdessen als Brücke sinnvoll?
Gas ist die eigentliche Brückentechnologie, die mehr Potenziale hat als CCS. Gaskraftwerke produzieren weniger Treibhausgase als Kohle und lassen sich aufgrund der Flexibilität besser mit erneuerbaren Energien kombinieren. Zudem gibt es Gas derzeit im ausreichenden Maße auf dem internationalen Markt, die Preise sind gefallen.

In der Roadmap wird auch die Förderung von Schiefergas positivbewertet – in der Öffentlichkeit ist das aber ähnlich umstritten wie CCS. Wie schätzen Sie das ein?
Man muss genau erforschen, welche Umweltrisiken durch die Förderung von Schiefergas auftreten können. Aus den USA weiß man, dass neueste Techniken zum Abbau von unkonventionellem Gas zu einem Überangebot führen können. Aber es gibt auch Studien, die darauf hinweisen, dass es Umweltrisiken geben kann. Für Europa wird Schiefergas nur dann eine Rolle spielen können, wenn es keine Umweltrisiken gibt.

Wie seriös sind überhaupt Rechenmodelle über einen Zeitraum von knapp vier Jahrzehnten?
Um die Unsicherheiten über zukünftige Entwicklungen abzubilden, nutzt man verschiedene Szenarien. Sicherlich kann man auch durchaus noch mehr unterschiedliche Szenarien, Annahmen und Parameter einbeziehen, das macht es aber nicht gerade übersichtlicher.

Oettinger will mit der Roadmap eine Energie-Debatte anstoßen, an deren Ende verbindliche Ziele für 2030 stehen. Im Jahr 2013 oder spätestens 2014 sollen Ziele feststehen. Ist das realistisch?
Ja, und das ist auch dringend notwendig. Denn die Zeit läuft uns davon. Die Energieversorgung umfasst ja ganz andere Zeitabläufe als andere Industrieprozesse oder wirtschaftliche Prozesse. Gerade wenn es um Infrastruktur, Investitionen und Energieerzeugung geht muss man immer in langen Zeiträumen rechnen.Insbesondere auch, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, ist es zentral, so rasch wie möglich verbindliche Ziele vorzugeben.

Sie rechnen mit einem Investitionsschub, den verbindliche Ziele für 2030 auslösen könnten?
Durchaus, es wird Investitionen geben und somit Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze. Viele Unternehmen sind startklar und wollen investieren. Allerdings hat die Finanzkrise auch zu einer Neubewertung der Finanzrisiken geführt, die Risikoaufschläge sind höher. Die Politik muss dies auch im Blick haben, insbesondere bei der Berücksichtigung beispielsweise von Bürgschaften und der Ausgestaltung der Bankenrettung.

Laut Roadmap sollen die Strompreise bis 2030 steigen und erst danach billiger oder stabil werden.
Ob die Strompreise wirklich derart steigen werden, hängt davon ab, welches Szenario man anschaut. Natürlich wirken der Kraftwerksumbau und der Stromnetzausbau zunächst strompreissteigernd.
Aber je mehr die Potenziale der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz in ganz Europa genutzt werden, desto geringer fallen die Preissteigerungen aus. Wichtig ist somit der Ausbau der Stromnetze in ganz Europa, um die Kostenpotenziale zu erschließen. Im Szenario mit Energieeffizienzverbesserungen steigen die Strompreise kaum oder gar nicht. Ein weiteres Argument für mehr Energieeffizienz.

Umweltverbände und Grüne warfen Oettinger vor, in der Energy Roadmap die Kosten von konventionellen Energieträgern zu niedrig und für erneuerbare Energien zu hoch kalkuliert zu haben.
Die Kosten der erneuerbaren Energien sinken im Zeitablauf. Zudem können die geologischen Vorteile- beispielsweise Sonnenstrom in Südeuropa, Wind und Wasserstrom in Nordeuropa, durchaus zu weiteren Kostensenkungen in ganz Europa führen. Die Potenziale der erneuerbaren Energien werden leider oftmals unterschätzt, genauso wie Energieeffizienzverbesserungen.

In allen Szenarien spielt Atomkraft auch im Jahr 2050 noch eine Rolle – wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass die Rolle der Atomkraft überschätzt wird. Sie hat gesellschaftliche Akzeptanzprobleme und hohe Kosten. Zwar mögen die einen oder anderen EU-Länder neue Atomkraftwerke bauen, das Energieproblem wird die Atomkraft nicht lösen. Die Atomkraft ist eine Technik der Vergangenheit, nicht der Zukunft. Gaskraftwerke sind als Brückentechnologie geeigneter.»

In der Roadmap wird die Atomkraft als wichtiger Faktor für eine klimafreundliche Energie bezeichnet. Kernkraftgegner bezweifeln das. Wie co2-arm ist Atomkraft tatsächlich?
Es gibt verschiedene Studien, in welcher Höhe Treibhausgase durch Atomkraft oder auch durch die Herstellung von Photovoltaikanlagen oder Windanlagen entstehen. Selbst bei pessimistischen Annahmen ist die Atomkraft – aber auch die erneuerbaren Energien – immer klimafreundlicher als Kohle. Entscheidend bei Atomkraft sind jedoch nicht die Treibhausgasbilanz, sondern der Umgang mit Atommüll, die hohen Kosten und das Fehlen der gesellschaftlichen Akzeptanz.»

Für das Jahr 2020 hat sich die EU die Ziele 20-20-20 gesetzt – 20 Prozent erneuerbare Energien, 20 Prozent verbesserte Energieeffizienz und 20 Prozent Treibhausgas-Reduktion. Erreichen wir diese Ziele?
Bei dem Thema erneuerbare Energien sind wir zumindest auf dem richtigen Weg. Sicherlich ist der Stand beim Ausbau von Land zu Land unterschiedlich, aber es geht in die richtige Richtung. Deutschland ist sehr weit, andere hinken hinterher, aber man hat eine deutliche Bewegung gesehen in den letzten Jahren. Die Treibhausgas-Minderungsziele sind auch erfüllbar. Auch hier gibt es große Unterschiede in den Ländern, je nach Anteilvon Kohlestrom. Dennoch wird Europa als ganzes das Ziel erfüllen.

Und das dritte Ziel – 20 Prozent Einsparung durch verbesserte Energieeffizienz?
Da sehe ich einen großen Nachholbedarf. Insbesondere im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden, Mobilität, aber teilweise auch Industrie hätte man mehr erreichen können. Es wäre wichtig und an der Zeit, verbindliche Vorgaben zu definieren und umzusetzen.

Das Kernfusions-Projekt ITER wird in der Roadmap nur kurz erwähnt, ohne genaue Erwartungen an zukünftige Stromgewinnung daraus.
Ich halte es für richtig, dass man keine überschäumende Erwartungen weckt in eine Technik, die man heute nicht kennt. Man benötigt mehr Forschung. Daher wissen wir nicht, ob und wann diese Technik wirklich zum Einsatz kommen kann.

Die Grünen-Fraktionschefin im EU-Parlament, Rebecca Harms, lehnt weiter Fördergelder für das «Milliardengrab» ITER ab. Das Geld sollte stattdessen in den Ausbau der Erneuerbaren gesteckt werden, sagt sie.
Ich denke, man sollte jede Forschungsförderung für möglichst viele Energietechniken betreiben, auch wenn man nicht unmittelbar Ergebnisse erzielt. Ich denke nicht, dass man heute schon
so weit ist zu entscheiden, dass die Forschung gescheitert ist. Bevor man nicht weiß, ob und wann die Technik funktioniert, sollte man weiter erforschen. Sollte die Kernfusion wirklich funktionieren, könnte sie das gesamte Energiesystem komplett verändern, ähnlich der heutigen Informationstechnik.